Auftakt Erzählsalon. Erstes Thema: Wahlbetrug 7. Mai 1989
Nachdem wir uns in den letzten Wochen in der Zionskirche über Kaffee und Kuchen getroffen haben, fand der erste abendliche Erzählsalon in der geschichtsträchtigen Villa Elisabeth in der Invalidenstraße nun über einem Glas Wein statt. Das Datum war keinesfalls zufällig gewählt. Am 7. Mai diesen Jahres jährt sich zum 25. Mal der Tag, der einen massiven Einfluss auf den letztendlichen Sturz der Mauer, und damit der DDR, hatte. An diesem Tag fanden 1989 die Kommunalwahlen statt und es gelang den Regimekritikern, der SED Regierung einen eindeutigen Wahlbetrug nachzuweisen. Dieser Betrug war wohl der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte und war der Auslöser für massive Demonstrationen gegen das Regime, die es letztendlich zum Sturz gebracht haben.
Unter dem Titel: „Jede Stimme zählt anders. Wie war das mit dem Wahlbetrug vom 7. Mai?“ trafen sich am Mittwoch einige Zeitzeugen dieser bewegten Zeit in den Räumen der ehemaligen Kirche von Unten (KvU). Zum Gespräch trafen sich Silke Ahrens, eine der Gründungsmitglieder der KvU, die Pankower Pfarrerin Ruth Misselwitz, Stefan Müller, Sozialpädagoge und damals aktiver Demonstrant gegen den Wahlbetrug 1989 und Christoph Pöhlmann, Mitglied des Friedenskreises Pankow. Moderiert wurde die Runde von der Politikwissenschaftlerin Ulrike Höppner.
Die Runde beginnt mit den Erzählungen der Anwesenden darüber, wie sie den 7. Mai 1989 selbst erlebt haben. Wo waren sie? Was haben sie getan? Wie ging es dann weiter?
Schon seit langer Zeit vermuteten viele, dass die Wahlergebnisse durch die SED gefälscht wurden. Im Jahr 1989 organisierten sich die Kritiker erstmals flächendeckend: Laut DDR-Recht war die Anwesenheit durch Bürger bei der Wahlauszählung gestattet. Ganz legal wurden in diversen Wahlkreisen Beobachtergruppen gebildet und die Auszählung überwacht bzw. die Ergebnisse aufgezeichnet. Das Ergebnis dessen ist heute bekannt: Die veröffentlichten Ergebnisse können gar nicht mit den tatsächlichen übereinstimmen!
Pfarrerin Misselwitz erinnert sich: “Wir waren seit Anfang des Jahres mit diesen Wahlen beschäftigt. Schon im April hatten wir eine Liste von Forderungen an die Wahl gestellt. Danach saßen wir dann bei uns zu Hause. Wir hatten einen der ersten Apple PCs zu Hause und dort saßen dann mein Mann und Christoph Pöhlmann und haben dort akribisch die Zahlen abgetippt.”
Silke Ahrens darüber, wie die Wahlbeobachter die Auszählung am 7. Mai in den Wahllokalen erlebten:
Stefan Müller und Silke Ahrens verbrachten den Abend nach der Wahl ’89 sogar am gleichen Ort, an dem wir uns zum Erzählsalon zusammengefunden haben. Müller: “Da drüben hing der Fernseher. Ich weiß noch, als die Ergebnisse verkündet wurden, da hab ich mit meinem Kumpel angestoßen und wir haben laut gelacht. […] Die Wahl war einfach ein gutes Bild für die Farce der Gesamtheit der DDR. Aber wir wollten eben nicht ‘rüber’, sondern wir wollten hier was verändern.”
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Auch Christoph Pöhlmann stimmt zu, dass er und seine Freunde trotz der Gefahren, der sie sich durch den Protest aussetzten, einfach nicht weichen wollten: “Weggehen, das wollten wir nicht. Sozusagen nach dem Motto: Wir gehen nicht freiwillig!”
Dieses “Verändern” hatten sich alle Freunde der Kirche von Unten auf die Fahne geschrieben. Dazu Ahrens: “Wir waren ein Sammelbecken verschiedenster subkultureller Gruppen aus Berlin und außerhalb. Wir hatten eine Initiative für Frieden und Menschenrechte, Schwulen- und Lesbengruppen, natürlich die Umweltbibliothek…” All diese Gruppen hatten gemein, dass sie sich den Mund nicht mehr länger verbieten lassen wollten.
Stefan Müller zur Bedeutung der Wahl:
Der 7. Tag eines jeden Monats wurde zum Stichtag für subversive Aktionen. So wurde am 7. Juni symbolisch eine Wahlurne zu Grabe getragen. Im nächsten Monat wurde sich an einem anderen Ort versammelt. Am 7. Oktober, dem 40. Jahrestag der DDR, wurden gefälschte Deutsche-Mark-Scheine gedruckt, die den Titel “40 Quark” trugen und so ging es weiter. Je mehr der Widerstand wuchs, desto strikter ging auch die Staatssicherheit gegen die Querulanten vor. Doch die Einschüchterungstaktiken trugen weniger Früchte als früher. Ruth Misselwitz erinnert sich: “Innerhalb der Kirche und der Bevölkerung gab es eine Stimmung von Aufbruch! Die Leute drängten aus dem Kirchengebäude raus auf die Straße. Innerhalb der Kirche hatte es ja die ganze Zeit eine gewisse Toleranz für Proteste gegeben, aber nach dem 7. Mai gingen die Leute raus!”.
Nach den sehr emotionalen persönlichen Geschichten der Gäste zu ihren Erlebnissen, ergriff, wie schon von den Erzählcafés gewohnt, das Publikum das Wort. Viele der anwesenden Gäste trugen ihre eigenen Erfahrungen bei. Es wurde über Angst und Courage, über das Miteinander damals und heute und über die unterschiedlichen Möglichkeiten von Widerstand gesprochen.
Am Ende richtete sich der Blick dann auf das Heute. Silke Ahrens findet ein eher nachdenklich stimmendes Schlusswort: “Eigentlich ist die Situation heute gar nicht so anders als damals… Damals haben wir zwei Jahre gesucht, bis wir für unsere Kirche ein Zuhause gefunden hatten. Jetzt hat die KvU seit Januar wieder kein Dach mehr, weil in diesem Bezirk kein Platz für Jugendarbeit mehr ist. Wir stehen also wieder da wie vor fast dreißig Jahren. Ich würde mir wünschen, dass es heute wieder mehr Energie und Kraft für diese Art Kampf gibt.”.
Auch Pohlmanns abschließende Worte an diese Runde sind nachdenklich: “Heute ist alles so viel komplizierter als damals. Mit all den Medien ist es viel schwieriger, die Situation wirklich zu durchblicken. Der eigene Verstand muss viel mehr gebraucht werden. Hoffentlich schafft das diese Generation!”.